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Radweg Deutsche Einheit – Etappe 6: Guxhagen bis Göttingen

75 Km – 🡭 490 m – 🡮 510 m

Highlights auf der Strecke

  • documenta fifteeen / Kassel
  • Museum Währungsreform
  • Weserstein, Hann-Münden
  • Stadtfriedhof, Göttingen

Übernachtung: ParkInn Radisson, Göttingen (2: Business Hotel, alles funktioniert, gutes Frühstück)

Der Wetterbericht für den heutigen Freitag ließ Arges befürchten, denn ab dem Nachmittag sollte es das langerwartete „Donnerwetter“ geben. Darum hatte ich prophylaktisch überlegt, wie und wo ich ggf. abkürzen könnte: das 9-Euro-Ticket sollte mir eine trockene Ankunft in Göttingen bescheren.

Und ich verrate noch etwas gleich zu Beginn: ich habe so was Deutsches gefunden, dass alle die, die vor 2002 geboren wurden, es eigentlich kennen sollten. Doch dazu später…

Mein letztes Übernachtungsdomizil lag einsam und idyllisch in einer langen 180°-Schleife der Fulda. Ich hatte ein riesiges Apartment für kleines Geld, allerdings auch ein, zwei ungebetene Gäste, die nachts um meinen Kopf herumschwirrten und nervten.

Bananenfrühstück und documenta fifteen

Da es auf der Idylle leider mit dem Frühstück klemmte, begnügte ich mich mit Tee und zwei Bananen, die ich in weiser Voraussicht am Abend zuvor gekauft hatte. Aus diesem Grund bin ich für meine Verhältnisse sehr früh aufs Rad gekommen – wahrscheinlich bestimmte der Jieper auf ein richtiges Frühstück mein Tun. Die Fahrt an der Fulda entlang verlief ohne besondere Vorkommnisse: gemütlich, ruhig, wenig Verkehr, Genuss radeln von der besten Sorte. Bis Kassel wechselt der Radweg häufiger die Flussseite, kurz vorher gelangt man auf die richtige, also die Innenstadt-Seite.

Imposante Brücke bei Guntershausen
Verträumtes Flüsschen
Gänsehof bei Guntershausen: dead on arrival

Als ich meine Tour im Winter 2021/22 plante, hatte ich nicht an die „documenta fifteen“ gedacht, geschweige denn gewusst, dass der globale Süden im Fokus stehen sollte. Heute wäre es natürlich sträflich gewesen, keinen documenta-Stopp in Kassel einzulegen.

Was für ein Gegensatz: niedliches Flüsschen und die Brücke der A44

Es wurde mir schnell klar, dass ich nicht in etliche Ausstellungen gehen, sondern nur ein wenig das Flair schnuppern könnte. Außerdem war es mein erster Kassel-Besuch überhaupt, denn Kassel bestand für mich bislang nur aus der ICE-Station an der Wilhemshöhe.

Die Radstätte am Flussauenbad

Bei meinem Vorhaben hat tatsächlich die Radstätte in der Fulda-Aue sehr helfen können, denn es gab drei große Boxen, in denen man sein Rad klausicher verstauen, bei Bedarf sogar seinen Akku aufladen kann.

Eine Radstätte, die ist lustig… (Flussaue Kassel)

Ich hatte gehofft, wenigstens eine leer vorzufinden – by the way: an keiner der vorherigen Radstätten war je eine Box belegt gewesen. Aber hier waren es immerhin Kassel und die documenta. Hurra, alle drei waren leer, der Schließmechanismus funktionierte – vorsichtshalber hatte ich es vorher ohne Rad probiert, ob der Deckel wieder aufginge.

Alles fügte sich wunderbar, denn kaum hatte ich meine Utensilien verstaut, kam der documenta-Bus vorbei und ich war 10 Minuten später in der Innenstadt – unmittelbar am Fridericianum.

Friedrichsplatz mit Fridericianum
Es gibt auch kleine Kunst
Überall documenta in der Innenstadt
Zentrum der documenta: Friedrichsplatz

Dort kann man sich treiben lassen, manches ist von außen zu sehen – sehr spannend die Installation des australischen Künstlers Richard Bell mit der „Aboriginal Embassy“; es geht dabei um die Bürgerrechtsbewegung und Rassismus-Proteste aus den 1970er Jahren in Australien. An der Fassade des Fridericianums ist ein gigantisches Zählwerk angebracht, das die Schulden des australischen Staates bei den indigenen Völkern ausweisen soll. Die Zeit war logischerweise für eine intensive Auseinandersetzung mit den mannigfaltigen Werken viel zu kurz. Und ich werde nicht auf den Punkt der anti-jüdischen, anti-semitischen problematischen Werke eingehen – wie so häufig funktionierten weder Einsicht noch Krisenkommunikation, was dann in einem lang hinziehenden Rücktritt der documenta-Führung gipfelte. Und ein spätes Frühstück gab es auch noch.

Kunst am Fulda-Ufer

Zurück zur Radstätte ging es erneut mit dem Bus – und siehe da: ich fand mein Rad unversehrt in der blauen Box vor. Das nächste Ziel hieß eigentlich Hannoverisch Münden, die Stadt, wo sich Fulda und Werra küssen, um als Weser Richtung Meer zu fließen.

Wo kam die DM her?

Für mich überraschend kam ich noch an einer weiteren Radstätte in Fuldatal vorbei, die sauber war, alle Informationen lesbar waren und die Technik funktionierte; es gab sogar fließend Wasser und eine Luftpumpe. Auf der Infotafel fiel mir das „Museum der Währungsreform“ ins Auge. Gibt es so etwas überhaupt?

Radstätte Fuldatal
Der Geburtsort der DM: Haus Posen auf dem ehemaligen Fliegerhorst Rothwesten

Allerdings musste ich dazu auf das Gelände des ehemaligen Fliegerhorstes Rothwesten aus der Nazizeit oberhalb des Fuldatals hinauf strampeln. Heute findet sich dort ein Sammelsurium aus Firmengeländen, Lagerplätzen, einer Erstaufnahme-Einrichtung und einem riesigen Solarpark, denn die spätere Bundeswehr-Kaserne wurde 2007 geschlossen, als die Flugabwehrbrigade 100 aufgelöst wurde (heute wird diskutiert, dass Deutschland wieder dringend eine Flugabwehr benötige – siehe „Zeitenwende“ von Olaf Scholz). Nach dem 2. Weltkrieg war die US-amerikanische Armee einige Zeit auf dem ehemaligen Fliegerhorst-Gelände stationiert.

Jetzt kommt die Auflösung vom Beginn: im Haus Posen trafen sich im April und Mai 1948 unter strengster Geheimhaltung einige Finanzexperten der West-Allierten und 11 Vertreter aus den Westzonen – allesamt Finanzwissenschaftler, die keinen Nazibezug hatten. Unter der Führung eines jungen US-Offiziers, Edward Tenenbaum, formulierten die Sachverständigen während der folgenden Wochen in deutscher Sprache die Gesetze und Durchführungsanweisungen für die Einführung des neuen Geldes. Wie bei einer Papstwahl blieben alle streng abgeschlossen im Haus Posen quasi interniert. Es gab sogar Hauspersonal, Köche und einen Friseur, die auch alle im Haus bleiben mussten. Es sollte verhindert werden, dass einerseits Panik über die zu erwartende Abwertung der Reichsmark eintreten würde und andererseits sollten die Russen nichts von dem Plan erfahren. Hintergrund waren die grassierende Inflation, der massive Geldüberhang und der Schwarzmarkt mit seiner „Zigarettenwährung“. Am 21. Juni 1948 wurde die DM als offizielles Zahlungsmittel eingeführt. Die Guthaben aus Reichsmark-Zeiten nur teilweise in DM ausgetauscht und dann zu einem realistischen Kurs von 1:0,065. Für 100 Reichsmark bekam man 6,50 DM. In dem einmal im Monat geöffneten Museum wird an das „Währungskonklave“ erinnert. „Deutscher“ kann ich es euch wirklich nicht bieten, auch wenn ich den geheimen Tagungsort nur von außen anschauen konnte.

Rheinromantik an Fulda und Werra?

Nach diesem Abstecher dachte ich, es ginge schnurstracks zur Fulda ins Tal zurück, aber das war ein klarer Fall von „denkste“. Aus der vermeintlichen Abkürzung wurde eine mit einigen Höhenmetern gespickte Verlängerung, bis ich wieder die Fulda erreichte. Dann war es nicht mehr weit und ich konnte den berühmten Turm, die Tillyschanze, sehen. Daneben sind der Weserstein eines der bekanntesten Hot Spots von HM sowie das Schloss der alten Welfen – nach einem Brand wurde der Neubau nie vollendet und auch nur bedingt durch das Königshaus genutzt – im dreißigjährigen Krieg hatte sich es sich durch die Zerstörung des Schlosses von alleine erledigt.

Da isser: der Weserstein
Hochwassermarken in Hann Münden
Güterzugbrücke in Hann Münden

Das Städtchen wird durch eine schöne Altstadt geprägt. Und der Himmel wurde an diesem Nachmittag durch eine beängstigende grauschwarz-Färbung des Himmels verdunkelt – das im Wetterbericht angekündigte Unwetter zog auf.

Trockenen Hauptes nach Göttingen

Ich hatte Glück in zweifacher Hinsicht, denn erstens konnte ich mich mit meinem Rad noch in eines der Fahrradabteile quetschen und zweitens setzte ein kräftiges Unwetter just in dem Moment ein, wo der Zug den Bahnhof verließ.

Unterwegs: Bahnhof Friedland*)

*) Wer mehr zum sehr interessanten und spannenden Museum beim „Durchgangslager“ Friedland erfahren möchte, schaut hier weiter.

Abends bin ich in die Innenstadt gefahren – mit dem Bus habe ich die Göttinger Fußgängerzone erkundet. Auf der einen Seite teilweise recht pittoresk, auf der anderen ziemlich runtergerockt und schmuddelig.

Gänseliesel-Brunnen
Schwarzer Bär hat auch schon bessere Zeiten gesehen
Jacobikirche
Minze-Limette Cocktail – regt den Geist und die Schreiblust an

Hauptsächlich ging es mir jedoch um ein gutes Abendessen; letztlich bin ich bei einem vietnamesischen Restaurant fündig geworden – es war ausgesprochen lecker 😋

Hier geht es mit der siebten Etappe weiter.

Veröffentlicht in Allgemein

2 Kommentare

  1. Elisabeth Elisabeth

    Das Museum der Währungsreform scheint ja fast so geheim zu sein wie die damaligen Beratungen 😉 Ich jedenfalls habe erst durch deinen heutigen Etappenbericht davon erfahren. Ob sie da nach der Entscheidung wohl auch grauen Rauch haben aufsteigen lassen? 🤔 Wohl eher nicht, weil ja geheim. Obwohl es als Symbol für die (vermutlich leider unvermeidbare) Geldverbrennung ja gepasst hätte 🙃
    Vielen Dank für deinen auch heute wieder interessanten und launigen Blogbeitrag und weiterhin gute, unwetterfreie Fahrt!

    • Stefan Stefan

      Das sind Fragen, die ich vermutlich nur einmal im Monat stellen könnte und vielleicht auch beantwortet bekäme. Dann nämlich, wenn das Museum am 1. Samstag im Monat offen hat. Interessant auch, dass der US-amerikanische Offizier Edward Tenenbaum, unter dessen Leitung das Konklave stattfand, erstens einer der Jahrgangsbesten an der Yale Universität war und zweitens er als erster Offizier der US-Armee das KZ Buchenwald betrat. Der ‚Vater der DM‘ starb sehr früh bei einem Autounfall im Jahr 1975. Immerhin hat die Gemeinde Fuldatal eine total abgelegene Straße nach ihm benannt.

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