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Radweg Deutsche Einheit – Etappe 4: Cölbe bis Oberaula

88 Km – 🡭 620 m – 🡮 500 m

Highlights auf der Strecke

  • Wasserfestung Ziegenhain
  • STALAG-Gedenkstätte Trutzhain
  • Rotkäppchen-Radweg

Übernachtung: Reiterhof Aumühle, Oberaula (1-2: Fantasievolles Ambiente, sehr freundliche Gastwirte, großes Zimmer, Fahrradstall, tolles Frühstück)

Die heutige Etappe ging zwar über fast 90 Kilometer, ist jedoch schnell erzählt.

Hotel Adlon – in Cölbe?

Am Morgen gleich beim Frühstück habe ich mich über das Hotel in Cölbe geärgert, da ich übersehen hatte, dass das Frühstück extra zu bezahlen war, es allerdings € 15 kosten sollte. Leider habe ich kein Foto vom Frühstücksbüfett, aber Schmierkäse, kleine Leberwurströllchen in Plastik und gewellte Wurstscheiben waren wirklich nicht diesen „Preis wert“. Die eigentlich freundliche Bedienung konnte ja nichts dafür, hatte dann wohl mit dem Chef gesprochen, der mir nach einem langen Vortrag über Schwierigkeiten im Gastgewerbe wegen der Energiekosten den Preis am Ende um € 5 reduzierte. Aber selbst € 10 waren mE ein überaus happiger Preis für diese Frühstücksdiaspora. Vermutlich hatte ich mich auch über meine eigene Dusseligkeit geärgert, übersehen zu haben, dass das Frühstück on top gezahlt werden sollte. Ich sollte noch positiv erwähnen, dass mir bei der Abfahrt ein Ballisto-Riegel als Wegzehrung mitgegeben worden war.

Neues Flüsschen – ähnlicher Radweg

In Cölbe ist es dann mit dem Lahnradweg zu Ende. Man folgt zwar einem weiteren Wasserweg, das ist jedoch das Flüsschen Ohm. Rechts und links sind – wie fast überall – verbrannte Felder und sehr mickrige Maispflanzen, die alle unter dem Wassermangel leiden.

Mündung der Ohm in die Lahn
Immer an der (dem?) Ohm entlang

Es gibt auf der Strecke kleine Örtchen, die mich heute jedoch nicht zum Entdecken und Anhalten gereizt hätten. Mein erstes, echtes Ziel hieß Ziegenhain – mit einer Wasserfestung aus dem 16. Jahrhundert. Urkundlich erwähnt war Ziegenhain schon 300 Jahre früher, 1275 erhielt es das Stadtrecht. Ich kannte nur alte Stiche und hatte mir eine einzigartige, guterhaltende Festung vorgestellt. Einzigartig, ja das ist sie in der Tat, denn ging es früher darum, im Falle eines Falles nicht hinein zu gelangen, heißt es heute: da kommst du nicht raus.

So fest wie Ziegenhain: früher Festung, heute JVA

Die ehemalige Festungsanlage plus Neubauten ist ein Gefängnis mit höchster Sicherheitsstufe, u.a. werden hier auch Gefangene in Sicherheitsverwahrung untergebracht. „So fest wie Ziegenhain“ hat für diese Jungs eine andere Bedeutung, denn im Dreißigjährigen Krieg wurde die Festung nie eingenommen, darum auch der Sinnspruch.

Kleine Pause am schattigen Teich
Mein neuer Monster-Akku: teure 700 W/h für 95 Cent/h

STALAG Gedenkstätte Trutzhain

Leider konnte ich die Radstätte in Ziegenhain nicht finden, obwohl diese nicht zu übersehen sind (wenn du weißt, wo sie installiert ist). So war es mir bereits gestern in Marburg ergangen – da könnte ein bissi nachgebessert werden. Für ganz Schlaue stehen zwar die genauen Geo-Koordinaten im Radweg-Flyer, aber wer möchte schon zig Ziffern mit verschwitzten Händen auf dem Smartphone eintippen.

Der nächste Zwischenhalt war in Trutzhain geplant: hier gibt es eine interessante Gedenkstätte zu einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager, dem „STALAG IX A Ziegenhain“. Überall in Deutschland waren nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Das in Trutzhain war das größte in ganz Hessen. Die Gefangenen, die aus vielen Ländern stammten, musste in der Industrie und in der Landwirtschaft Zwangsarbeit unter miserablen Bedingungen leisten. In der französischen „Abteilung“ war auch der spätere Staatspräsident Mitterand für mehrere Jahre ein Gefangener (ist war dreimal ausgebrochen und wurde beim dritten Versuch zum Glück nicht mehr geschnappt). Waren Anfang der 1940er Jahre „nur“ 1.800 Gefangene dort untergebracht, wuchs diese Zahl bis kurz vor Kriegsende auf über 11.000 Menschen an, wodurch sich die schon schlimmen, lebenswidrigen Zustände nochmals verschlimmerten. Nach dem Krieg wurde es für kurze Zeit ein Entnazifizierungscamp der US-Verwaltung, anschließend ein Lager für displaced persons, also Vertriebene, Kriegsflüchtlinge und andere Menschen ohne klaren Rechtsstatus. Schließlich wurden dort Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen „Ostgebieten“ untergebracht. Trutzhain wurde 1951 als erste hessische Gemeinde gegründet und war im wahrsten Sinne des Wortes auf den Fundamenten des STALAG IX A aufgebaut.

Ehemaliger Friedhof des STALAG Trutzhain
Friedhof für die Kriegsgefangenen aus dem STALAG Trutzhain

Zwei Kilometer vom Lager entfernt ist der Friedhof für die Gefangenen im Wald verborgen. Heute erinnern viele Gräber ohne Namen, aber auch etliche mit Namen an die Toten. Ich finde diese Kriegsgräberfriedhöfe immer sehr bedrückend und stelle mir die Schicksale der Toten vor. Gerade in der gegenwärtigen Zeit zeigt der Bedarf an neuen Kriegsgräbern, dass auch Europa nicht vor menschenverachtenden, brutalen Kriegen gefeit ist (obwohl: sind die Russen Europäer?).

Rotkäppchen fährt auch Rad

Damit war mein Tourprogramm erledigt. Ich musste nur noch bei meinem temporären Zuhause in Oberaula ankommen. Schon etliche Kilometer zuvor übernahm der „Einheitsradweg“ die Streckenführung des „Rotkäppchen-Wegs“, das ist die alte Bahntrasse der Knüllwaldbahn: sehr entspanntes Radeln, mal durch Felder, mal schattig und zT sind die alten Brücken, die die Bahntrasse querten, noch erhalten, alles in allem wirklich „Genussradeln“. Die Rotkäppchen-Trasse befindet sich natürlich auch im Rotkäppchenland, denn angeblich waren die Gebrüder Grimm von der Geschichte des kleinen Mädchens, dem Wolf und der Großmutter in der Schwalm, einer alten Kukturgegend im Hessischen, inspiriert worden. Hier tragen die Frauen an Festtagen noch die bekannte Schwälmer Tracht, mit der auch Rotkäppchen durch den Wald gelaufen ist.

Junger Mann zum Mitradeln gesucht?

In Neukirchen, im Verlauf der alten Bahntrasse, habe ich die nächste Radstätte tatsächlich gefunden und machte eine kurze Rast.

Radstätte Neukirchen
Gemeinsam mit Matthias im Biergarten

Dabei traf ich Matthias, der sich über seinen restlichen Tourtag und die Entfernung bis zum Übernachtungsziel informieren wollte. Ich hatte ihn angequatscht und wir kamen überein, gemeinsam bis  Oberaula auf der Rotkäppchen-Trasse zu fahren. Daraus entwickelte sich ein angenehmes Plaudern über „Gott und die Welt“. Außerdem habe ich jetzt endlich gelernt, was eine „taube Nudel“ bedeutet (nicht, dass ich das Gefühl nicht bereits kannte). Beim letzten Gipfelanstieg erwartete uns ein kleiner Biergarten, der so gemütlich aussah, dass wir noch mal viel Zeit mit Erzählen dranhängten. Matthias war auf dem Weg nach Erfurt, jedoch stromlos und wollte bis Freitag dort ankommen: ein sehr ambitioniertes Programm. Wer mehr über sein ausgefallenes Hobby wissen möchte, hier kann er es erfahren: klassische Kühlerfiguren.

Für mich endete dann der Tag auf einem kleinen Reiterhof – mitten im Nichts, was nach der Nacht an einer vielbefahrenen Straße in Cölbe zusätzliche Erholung bedeutet.

Aumühlenhof in Oberaula

Hier geht es mit der fünften Etappe weiter.

Veröffentlicht in Allgemein

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