Zum Inhalt springen →

Radweg Deutsche Einheit – Etappe 3: Löhnberg bis Cölbe

88 Km – 🡭 550 m – 🡮 500 m

Highlights auf der Strecke

  • Lottehaus, Wetzlar
  • Reichskammergericht, Wetzlar
  • Leica-Campus, Wetzlar
  • Lahnfenster, Gießen
  • Marburg (Altstadt und Schloßberg)

Übernachtung: Hotel Orthwein, Cölbe (3-: Mini-Zimmer, sehr laut, recht teuer, liebloses Frühstück für 15 Euro, aber Fahrradgarage)

Heute ging es von Löhneberg bis Cölbe, vorbei an den bekannteren Städten wie Wetzlar, Gießen und Marburg. Hatte ich mich gestern gefragt, was denn auf der letzten Etappe etwas mit der deutschen Einheit oder Deutschland im Großen und Ganzen zu haben könnte, musste ich mit den Achseln zucken.

Auch der Lahnradweg ist manchmal hügelig

Auf diesem Streckenabschnitt war das sicher nicht der Fall, denn gerade Wetzlar und Marburg stehen für „Deutschland“, jedoch nicht unbedingt auf Anhieb sichtbar. Ich komme später drauf zurück.

Ein Fluß – unterschiedliche Gesichter

Das Lahntal veränderte im Laufe des Tages seinen Charakter. War es gestern eher still und gemütlich, so bestimmen Industrie und die ausgebaute B49 das Geschehen, in jeder Hinsicht: busy, laut und nicht immer strahlt es den Charme der alten Industriekultur aus. Schon gleich hinter Solms wird es weniger gemütlich und ich sehnte mich nach der Ruhe des Vortags zurück. Bis Wetzlar ist es auch nicht mehr sehr weit. Ich wette, dass viele Wetzlar nur von der Hochstraße kennen, die die Stadt brutal durchschneidet. Doch – oh Wunder: die Innenstadt ist zwar momentan eine große Baustelle, aber in der Substanz gibt es viele kleine Sträßchen ohne Autoverkehr, hübsche restaurierte (Fachwerk)häuser und natürlich das Ensemble des Lotte-Hauses unweit des Doms.

Dom zu Wetzlar

Die Leiden des jungen W. – oder der umtriebige Herr Goethe

Der junge Gothe lernte Charlotte Buff auf einem Tanzfest kennen und verliebte sich Hals über Kopf in sie, nur war sie bereits mit einem anderen Mann aus der guten Wetzlarer Bürgerschaft verlobt – also insgesamt ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen für Goethe. Aber was macht man in solch einer Situation als Schriftsteller? Man verarbeitet diese aussichtslose Liebe in einem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ – das Ende ist tragisch, da Werther aus Trauer über die verlorene Liebe Suizid begeht. Das Publikum war jedoch begeistert und das Buch wurde zu einem der ersten Bestseller und festigte Goethes Ruf als Schriftsteller-Monster schon in jungen Jahren. Das „Lotte-Haus“ kann zu bestimmten Zeiten besichtigt werden – im Sommer gibt es auf einer kleinen Bühne Theater- und Konzertveranstaltungen.

Das historische Lotte-Haus
Modernes Graffiti: Die Leiden des jungen W.

Ebenfalls in der verwinkelten Innenstadt ist das ehemalige „Reichskammergericht“ zu finden. Es wurde im 15. Jahrhundert von Kaiser Maximilian I. – als Herrscher des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen – ins Leben gerufen und man kann sagen, dass dieses Gericht der Vorvorvorläufer unseres heutigen Bundesgerichtshofes ist. Ein kleines Museum erzählt die Geschichte der alten Gerichtsbarkeit und beschreibt die Aufgaben; geregelte Streitverfahren sollten anstelle von Fehden und Krieg treten. 1806 wurde es aufgelöst. Und der junge Goethe lernte Charlotte während eines Praktikums am Reichskammergericht kennen.

Ikone der optischen Industrie: Leica

Neben den Leiden des jungen W. steht Wetzlar für einige Schwergewichte der deutschen Ingenieurskunst: Buderus und die Optik-Firma Leitz. Buderus kennen die meisten als Hersteller von Heiztechnik. Der Ursprung der Firma bestand in der Erzgewinnung und Metallverarbeitung; Buderus wurde 1731 in Wetzlar gegründet. Es war bis zu seiner Übernahme durch die Bosch AG ein familiengeführter Großkonzern. Es gibt unweit von Wetzlar eine kleine „Arbeitersiedlung“, die Buderus für seine Arbeiter gebaut hatte. Heutzutage wohnen zwar dort nicht nur Buderus-Mitarbeiter, dafür steht die gesamte Siedlung unter Denkmalschutz.

Buderus-Denkmal und Arbeitersiedlung

Mich zog es allerdings zum Leitz-Campus oberhalb der Innenstadt. Wer hochpreisige Top-Produkte herstellt, kann sich einen fantastischen Campus mit Manufaktur, Flagship Shop, Museum, Kino und einem eigenem Hotel vermutlich ohne größere Anstrengung leisten. Leitz wurde 1869 durch Ernst Leitz gegründet und sollte zu einem führenden Unternehmen der optischen Industrie werden. Mit Leitz verbindet man automatisch die Marke der bekannten Leica-Kameras (und anderer optischen Geräte). Mit toller Technik und dem richtigem Auge kommen ganz schön viele Pulitzer- und Photo-of-the-Year-Preise zusammen. Das hat mich wirklich geflasht, um ausnahmsweise dieses Modewort zu strapazieren.

Blick in die Leica-Manufaktur
Leica-Welt

Durch eine Auenlandschaft, die intensiv für Freizeit und Sport genutzt wird, ging es weiter nach Gießen. Diese Stadt zählt nun wirklich nicht zu den Highlights städtebaulicher Kunst, allerdings trägt sie auch ein schweres Erbe, da die Stadt durch einen groß angelegten Bombenangriff der britischen Streitkräfte am 6. Dezember 1944 zu 90% zerstört worden war, wodurch fast 400 Menschen ums Leben kamen. Diese Schäden wurden durch einen weiteren Bombenangriff der amerikanischen Streitkräfte am 11. Dezember vergrößert. Dabei kam es zu einem kompletten Zusammenbruch der zivilen Infrastruktur und gleichzeitig setzte eine Massenflucht aus Gießen ein. Damit hatten die Stadtplaner nach dem Krieg freies Feld und tobten sich entsprechend aus – die Folgen dieser rücksichtslosen Städtebauplanung lassen sich heute nur schwerlich beseitigen.

Radstätte und Lahnfenster reißen es auch nicht raus

Selbst die Radstätte steht recht lieblos an einer vielbefahrenen Kreuzung. Sicher gibt es auch Sehenswertes in Gießen, ich habe mich auf den Radweg entlang der Lahn beschränkt und dabei das „Lahnfenster“ entdeckt. Das „Fenster“ soll über die Fisch-Vielfalt in der Lahn informieren: Forellen, Äschen und Barben tummeln sich im Gewässer.

Beim Lahnfenster
Radstätte Gießen

Man kann im Untergeschoß des Lahnfensters den Fluss durch ein dickes Glasfenster beobachten; spannend ist vor allem eine Vorrichtung, wodurch flussaufwärts schwimmende Fische durch einen kleinen Seitenkanal mit einem langen Beobachtungsfenster kommen müssen und dabei betrachtet  werden können – im Prinzip. Heute waren sie anscheinend faul oder machten einen Ausflug, denn ich habe keine entdecken können.

Eine Giraffe auf Abwegen
Schloss Friedelhausen

Marburg: Universitätsstadt seit 1527

Hinter Gießen setzt sich die Auenlandschaft fort, nicht aufregend, nicht besonders erwähnenswert, zumal heute Sonne und Gegenwind zunehmend nervten. Als Ausgleich sieht man schon weitem das Marburger Schloss, welches sehr stattlich über der Stadt thront. Geistlichkeit und Adel hatten schon immer einen ausgeprägten Sinn, ihre Macht auch durch die prunkhafte Architektur zu demonstrieren.

Schlossberg über der Altstadt
Der Wolf und die sieben Geißlein
Elisabethkirche

Ich war das letzte Mal in Marburg vor ungefähr 45 Jahren. Heute habe ich nicht viel wiedererkannt, obwohl die Stadt natürlich dieselben Stadtteile oder Straßenzüge hat. Als Uni-Stadt ist sie sehr lebendig, es gibt zig Kneipen und andere Restaurationsbetriebe, unzählige Läden und Lädchen, irgendwie alles alternativ und nachhaltig. Die Uni als größter Arbeitgeber bestimmt das Stadtbild durch und durch – leben lässt es sich sicher gut, ob alle auch so studieren können, ist eine andere Frage.

Die Universität in Marburg hat eine lange Tradition, sie wurde bereits 1527 gegründet. Sie war eine der ersten Unis, die sich vor allem der protestantischen Lehre und Philosophie verschrieben hatte. Die Liste der bekannten Professoren ist sehr lang, wie zB Cohen, Bunsen, von Savigny, Heidegger, Bultmann, Abendroth.

Eingeschlafene Füße in Cölbe

Mein eigentliches Ziel war allerdings das kleine Örtchen Cölbe, nur ein paar Kilometer nördlich von Marburg. Da Cölbe ungefähr so attraktiv wie eingeschlafene Füße ist, bin ich abends zurück nach Marburg (bemerke: immer noch mit dem 9-Euro-Ticket) und habe die Altstadt ausgiebig zu Fuß erkundet.

Hier geht es mit der vierten Etappe weiter.

Veröffentlicht in Allgemein

2 Kommentare

  1. Felix König Felix König

    Guten Tag Stefan, wahrscheinlich sind wir uns auf dem Radweg in den letzten Tagen begegnet (oder einer von uns war gerade pinkeln). Ixjbhabe eines deiner Karten bei der radstätte in Gießen gesehen und den Code gescannt – wow, schöner Blog und vor allem bin ich auch auf der Strecke jedoch Inder anderen Richtung – morgen komme ich in Bonn an und vertreibe mir die Zeit im Rheinland – ich wünsche dir noch gute Fahrt und werde ab und zu sicher schauen, was du schriebst. Als Tipp kann Ich dir noch den Park bei Dessau und die Anlagen von Ferropolis geben – absolut sehenswert, wenn du noch Zeit hast, solltsttdu auch Belzig und die alten Heilstätten erkunden. Lieben Gruß Felix

    • Stefan Stefan

      Moin Felix,

      Dann wirst du vielleicht schon in Bonn angekommen sein. Ich habe es inzwischen bis nach Göttingen geschafft – und warte den Vormittag über auf etwas besseres Wetter.
      Ich freue mich, dass du sowohl den Code gescannt hast als auch dir mein Blog gefällt. Es ist für mich so etwas wie ein Tagebuch, allerdings eben nicht in der Schublade sondern ganz öffentlich. Bislang hatte ich das Gefühl, ich wäre der einzige, der sich für die Radstätten interessiert. Leider funktionierten einige gar nicht oder waren, wie das halt mit dem öffentlichen Raum gerne passiert, reichlich versifft – manchmal schien es mir der Treffpunkt von Jugendlichen zu sein, bei denen der Mülleimer zuhause wohl voll war 😤
      Ich wünsche dir einen guten Start in den Alltag und noch lange und gute Erinnerungen an die 1.100 km-Tour. Ciao Stefan

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner