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Ahrflut: Was ist in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli passiert?

Warum hatte die Ahrflut solche katastrophalen Folgen?

Vor einem Jahr kam es nach 110 Jahren erneut zu einer der schwersten Flutkatastrophen im Ahrtal: 134 Menschen starben durch die vernichtenden Überflutungen, über 1.250 Menschen wurden verletzt, ca. 3.000 Gebäude wurden beschädigt, davon 467 total zerstört. Die Infrastruktur wie Brücken, Straßen, Versorgungsleitungen und das Telefonnetz wurde massiv in Mitleidenschaft gezogen. Der materielle Schaden wird auf über € 30 Mrd. geschätzt.

Wetterprognosen und Warnhinweise nicht wahr genommen

Angekündigt hatte sich die bedrohliche Lage schon einige Tage zuvor. Nicht unbedingt für die Menschen im Ahrtal, aber für Wetterforscher und Wetterkundige (die die richtigen Instrumente und Modelle zur Verfügung hatten). Das European Flood Awareness System „EFAS“ beobachtet die Erde mit zahlreichen Satelliten und bereitet u.a. Wetter- und Regenprognosen für die beteiligten Partner in Europa auf. Ab dem 10. Juli bis zum 14. Juli, dem Tag der Flutkatastrophe, hatte die EFAS 25 Warnungen wegen Starkregens und vermuteter Hochwasser-Lagen an die Landesämter für Umwelt in Rheinland-Pfalz, NRW und Bayern verschickt. Nach Meinung der verantwortlichen Leiterin des EFAS, Hannah Cloke, muss es allerdings eine „funktionierende Ereigniskette“ geben, damit die vorliegenden Informationen aufgegriffen und die richtigen Schlüsse gezogen werden. In Deutschland selbst gab es spätestens am 14. Juli zahlreiche Warnungen vom Deutschen Wetterdienst und von den „Wetterfröschen“ in Funk und Fernsehen wegen eines zu erwartenden Hochwassers im westlichen Einzugsgebietes des Rheins. Die Wetterkarten waren bereits dunkelrot oder gar violett wegen der zu erwartenden Menge des (Dauer)regens eingefärbt. Das Landesumweltamt Rheinland-Pfalz gibt am Morgen des 14. Juli über die Katwarn-App eine „rote Warnung“ wegen schnell ansteigender Wasserstände heraus. Am späten Nachmittag um 17:17 Uhr ruft das Landesamt die violette und damit die höchste Warnstufe aus. In der Kreisverwaltung Ahrweiler wird allerdings nur die zweithöchste Warnstufe ausgelöst; der Krisenstab des Kreises tritt zusammen. Die Prognosen der Pegelstände der Ahr liegen mit 5,20m schon 2 Meter über dem höchsten Stand der letzten zwei Jahrzehnte.

Bitte gendern: Campingplatzbetreiber:innen

Zwischendurch zeigt sich ein Wirrwarr von Kompetenzen und unklaren Zuständigkeiten, die zwischen dem Ministerium des Innern und dem Umweltministerium in Rheinland-Pfalz hin und hergeht. Eines der traurigen Highlights ist, dass die damalige Umweltministerin, Anne Spiegel, ihren Apparat anweist, eine der wenigen und zugleich untauglichen Warnungen zu gendern: in dieser Pressemitteilung vom Nachmittag wurde zwar gewarnt, jedoch nicht vor einer „extremen Hochwasser-Lage“. Das war ihr herausragender Beitrag am 14. Juli.

Bereits um 16:20 Uhr hatte die damalige Bürgermeisterin von Ahrweiler, Cornelia Weigand, beim Landratsamt in Ahrweiler angerufen und gebeten, den Katastrophenalarm auszulösen, da die Prognosen zum Pegelstand vermutlich das „Jahrhunderthochwasser“ von 2016 übersteigen würden. Es geschieht jedoch nichts. Und ihre selbst kaum geglaubte Prognose zum Pegelstand wurde um ein Vielfaches übertroffen.

Die Pegelstandanzeige in Altenahr wird von den Fluten fortgerissen

Um 20:43 Uhr wird die Pegelstandsprognose auf 6,81m erhöht. Einige Minuten später fällt die Anzeige des Pegelstandes aus, denn kurz vor 21 Uhr wird das Messhäuschen in Altenahr von den Fluten weggerissen: die letzte Messung zeigt 5,75m an. Der Krisenstab in Ahrweiler warnt vor weiteren Sturzfluten und Überflutungen – er gibt den prognostizierten Pegelstand mit 5,09m an, damit mehr als einen halben Meter weniger als die letzte Messung aus Altenahr. Bis heute gibt es nur Schätzungen, wie hoch der tatsächliche Pegel der Ahr in dieser Nacht stand.

Ahrtal – ein Tag nach der Flutkatastrophe

Der Regen prasselt unaufhörlich auf das Ahrtal und seine Nebentäler herunter, denn das Tiefdruckgebiet mit seinen ergiebigen Regenfällen bleibt relativ unbeweglich. Das Wasser der Ahr schwillt daher immer weiter an. Am Oberlauf der Ahr ist die zerstörerische Gewalt der Wassermassen schon sichtbar und man hätte noch genug Zeit gehabt, Warnungen für Altenahr, Ahrweiler und gar Sinzig nahe der Mündung herauszugeben. In Dorsel wird der einer der ersten Campingplätze von der Flutwelle überrannt, dann staut sich das Wasser in Schuld, bis es mit einem gewaltigen Schwall auf Insul trifft. Auslöser für das disruptive Ansteigen des Wassers sind auch viele der kleinen Brücken, an und unter denen sich weggespülte Häuser und Wohnwagen, Bauschutt und Bäume in unvorstellbarer Menge ansammeln und als Barriere wirken. In der Konsequenz können die meisten Brückenbauwerke den angestauten Wassermassen nicht standhalten und werden fortgerissen, so dass eine nächste verheerende Flutwelle für die dahinter liegenden Orte ins Rollen kommt.

Katastrophen-Alarm kam erst 23:09 und damit viel zu spät

Erst um 23:09 Uhr wird dem Krisenstab in Ahrweiler klar, dass die Pegelstandsanzeige in Altenahr nicht mehr funktioniert. Er löst jetzt den Katastrophenalarm der höchsten Warnstufe aus. Zu dieser Zeit hatte Landrat Pföhler die Leitung des Krisenstabes an den -niederrangigen- Katastropheninspekteur, Michael Zimmermann, abgegeben und sich bereits gegen 21 Uhr nach Hause verabschiedet; es wird gemunkelt, dass er seinen Porsche in Sicherheit bringen wollte. Über die Katwarn-App ruft der Kreis zur Teil-Evakuierung auf: „Aufgrund der starken Regenereignisse sollen die Bewohnerinnen und Bewohner der Städte Bad Neuenahr-Ahrweiler, Sinzig und Bad Bodendorf, die 50 m rechts und 50 m links von der Ahr wohnen, ihre Wohnungen verlassen.“ Der Aufruf geht damit von einem engen Einzugsbereich aus, denn es wurden ja nicht nur ufernahe Bereiche überschwemmt. Das Wasser gelangt bis in Gebiete, die noch 200m entfernt vom Fluss liegen.

Um Mitternacht wird die Lage immer unübersichtlicher, die Katastrophe kann nicht aufgehalten werden. Während am Oberlauf der Ahr in Schuld und in Insul bereits zahlreiche Häuser in den Fluten versunken und Menschen gestorben sind, rollt das Wasser auf Ahrbück, Altenburg und Altenahr zu. Aufgrund der Fehleinschätzung der Beteiligten und eines nicht mehr funktionierenden Mobilfunk-Netzes sowie des Ausfalls vom „Behördenfunk“ werden die mündungsnäheren Gemeinden jedoch nicht rechtzeitig und ausreichend gewarnt. Zwischen Ahrbrück und Altenburg werden mehrere Campingplätze total zerstört, Schutt und Gerümpel bleiben wieder an den Brücken hängen, bis diese einstürzen. Durch das sich verengende Tal läuft jetzt eine meterhohe, zerstörerische Welle Richtung Altenburg, Altenahr und die kleinen Weindörfer wie Dernau, Mayschoss oder Marienthal.

Es dauert bis kurz vor 23 Uhr, dann hat die Flutwelle Ahrweiler und kurze Zeit später Bad Neuenahr erreicht. Orte werden rasch überflutet und wo das Wasser nicht ausweichen kann, steht es bis zum ersten Stock und teilweise noch höher. Auch in Sinzig soll es noch Verwüstung und Tote geben. Das „Lebenshilfehaus“ wird zum traurigen Grab für 12 seiner Bewohner, die sich nach Mitternacht nicht alleine in die höheren Stockwerke retten konnten. Kurz vor der Ahrmündung in den Rhein trifft es die B9-Autobrücke über die Ahr; sie wird auf einer Fahrbahn unterspült und stürzt ein. Im Auengebiet der Ahr wird schlussendlich die wichtige Kläranlage unter Wasser gesetzt, so dass der Betrieb zum Erliegen kommt.

„Wir sind alle im Arsch!“

Am Morgen des 15. Juli hört es endlich auf zu regnen. Das Ausmaß der gesamten Zerstörung wird am frühen Morgen langsam sichtbar. Die Ahr bekommt zwar keinen Nachschub mehr von oben, aber das sonst so idyllische Flüsschen schiebt sich, wenn auch mit abnehmender Kraft, nach wie vor als braundreckige Kloake zum Rhein hinunter. „Wir sind alle im Arsch“, so der sehr emotionale Ausruf von Rebecca Arnoldy-Heimansfeld, als das Wasser in Dernau immer höher steigt und sie schließlich von einem Hubschrauber gerettet wird. Rebecca wohnte in Dernau und besitzt das ikonische „Helfer-Haus“.

Ich wache am 15. Juli bei mir morgens zu Hause – kurz hinter der Ahrmündung am Rhein – auf und wundere mich, dass es so intensiv nach Dieselöl und Fäkalien riecht. Noch habe ich keine Ahnung, was in der Nacht im Ahrtal passiert ist.

Veröffentlicht in Allgemein

2 Kommentare

  1. Holger Holger

    Wahnsinn wenn du das so liest und du dir dabei denkst, was und wer hätte gerettet werden können, weil anscheinend alle der „freudnlichen Helfer“ wie Polizei, Feuerwehr, THW, Kriesverwaltung etc. völlig ünberfordert waren und nichts auf die Reihe brachten, um dieses Unheil abzuwenden. Ich hoffe zwei Dinge, dass einmal ein paar der verantwortlichen doch noch verurteilt werden und dass auf der anderen Seite aus der tragischen Katastrophe alle Lehren gezogen, dass sie sich nicht wiederholt!

    • Stefan Stefan

      Danke Holger für deinen Kommentar – ich kann dem nichts hinzufügen und hoffe mit dir, dass nicht alle Versäumnisse unter den Teppich gekehrt werden. Es geht auch hier um ein wenig Recht und vor allem Gerechtigkeit.

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