Gobert reloaded – was bedeutet das?
Gobert – kennt ihr nicht? Wahrscheinlich ist euch der Begriff „Goburg“ geläufiger – nein, auch nicht. Hmm, die Gegend rund um die Gobert liegt im Grenzgebiet von Thüringen und Hessen, genaugenommen bei den angrenzenden Landkreisen Eichsfeld und Werra-Meißner – sozusagen im Dreieck der Städtchen Eschwege, Bad Sooden-Allensdorf und Heiligenstadt.
Ich hatte die Gobert im August 2019 kennengelernt, denn das Grüne Band führte mich am zehnten Tag meiner Tour dort vorbei. Die stille Schönheit dieses Tour-Abschnittes hatte mich begeistert. Zwischen Kella und Asbach-Sickendorf verläuft der Kolonnenweg über eine breite Schneise, die einen guten Eindruck des bandartigen Charakters vermittelt. Aus der Luft sicher noch eindrücklicher als aus der kleinen Menschen-Perspektive. Allerdings kann man auf Schusters Rappen oder per Fahrrad das Grüne Band von Horizont zu Horizont durch die zahlreichen kleineren Senken und Anstiege sehr gut verfolgen.
Natur pur – Grünes Band und die Magerwiesen
Mich hatten die besondere Natur und der langgezogene Verlauf des Grenzweges stark beeindruckt, dass ich mir schon länger vorgenommen hatte, einen Extra-Abstecher auf die Gobert zu machen – für das erneute Erleben und für Panoramabilder aus einem möglichst saftigen Frühsommer. Nach 1 ½ Jahren hat es nun endlich geklappt. Ich plante einen kleinen Ausflug, der zunächst wegen der strengen Corona-Reglementierungen für Hotels als Geschäftsreise eines jungen, aufstrebenden Radtouristik-Unternehmens verpackt werden musste. Aber dann gingen Ende Mai 2021 die Inzidenzzahlen glücklicherweise fast überall deutlich runter, so dass es eine kleine, ganz normale Urlaubsreise im hoffentlich letzten Drittel der Pandemie wurde: etwas Anderes sehen als den eigenen Esstisch war herrlich.
Blumenpflücken während der Fahrt verboten…
… und immer schön auf den Hauptwegen bleiben und die geschützten Pflanzen nicht zertrampeln!
Meine Frau und ich fuhren Mitte Mai bei schönstem Frühlingswetter nach Bad Sooden-Allendorf, dem ehemaligen Zentrum der Kurwütigen. Angeblich gab es in den 1970er Jahren mehr Kneipen, Restaurants und Tanzcafés als in Frankfurt/M.: ein Eldorado für temporären Ehebruch und Partnerschaften auf Zeit. Heute ist das natürlich ganz anders, da man zum einen nicht mehr so einfach eine Reha-Maßnahme genehmigt bekommt und zum anderen der Ehebruch mit Tinder einfacher ist als während eines Kuraufenthalts.
Unser Hotel auf dem Ahrenberg lag ein wenig außerhalb, mit ausgedehntem Blick über das Werratal, jedoch in leise säuselnder Hörweite der Bundesstraße und der Eisenbahnlinie. Schön war es dennoch, denn wie gesagt: ein Tisch im Restaurant bietet nach sieben Monaten „stay at home“ deutlich mehr Abwechslung als der eigene Tisch zu Hause.
Unterstützung durch Stefan Sander von der Stiftung Naturschutz Thüringen
Ich hatte mich für den neuerlichen Ausflug ans Grüne Band mit einem der Gebietsbetreuer der Stiftung Naturschutz Thüringen (SNT) verabredet, um mehr über diesen besonderen und besonders schönen Streckenabschnitt zu erfahren. Stefan Sander und ich hatten uns praktischerweise mit dem Fahrrad bei der Schutzhütte „Sägewerk“ verabredet; diese Stelle liegt ziemlich genau auf halber Strecke zwischen den kleinen Örtchen Hitzelrode (im Westen) und Volkerode (im Osten). Ich war bereits gegen halb acht in Bad Sooden aufgebrochen und erklomm stetig die fast 400 Höhenmeter durch einen schattigen Wald, am Schloss Rothestein vorbei (leider momentan für die Öffentlichkeit geschlossen) bis zum auf dem Höhenzug der Gobert verlaufenden Kolonnenweg. Nach einer knappen Stunde geschafft, hatte ich die riesige Fläche des ehemaligen Grenzgebiets ganz alleine für mich. Das war eine fantastische Stimmung bei mildem Morgenlicht. Ich lauschte dem und beobachtete das vielfältige Leben rund um das „Sägewerk“. Gerade in einer solchen Gegend ist es wichtig, Flächen z.B. mit den wilden Orchideen oder anderen geschützten Pflanzen nur auf den Hauptwegen zu betreten – diese Zonen sind sehr labil und nicht nur pandemie-bedingt, auch hier gilt: mit Abstand geht es am besten. Obwohl das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sieht man ab und an Zeitgenossen, die hier noch Nachhilfeunterricht benötigen.
Fotosession am „Sägewerk“
Dann begann ich mit meinen Fotoversuchen – klobiges Stativ ausklappen, Stativkopf befestigen und gute Aufnahmestandorte erkunden. Anschließend die Kamera richtig einstellen, den Timer an der DSLR bereitmachen und etliche Male immer wieder eine bestimmte Strecke abradeln. Der Timer verrichtete zuverlässig seine Arbeit und ich freute mich, dass die Aufnahmen gut wurden. Zwischendurch tief durchatmen: dort zu sein, den Corona-Wirrnissen für ein paar Stunden zu entfliehen und sehr nah in einer Natur zu sein, die überwiegend von tierischen Gärtnern gepflegt wird.
Nach zwei Stunden machte ich eine Pause und wartete am verabredeten Treffpunkt auf Stefan. Ich sah in schon von Weitem anradeln. Es war Sympathie auf den ersten Blick, ähnliches Alter, trotz unterschiedlicher Lebenserfahrungen fanden wir schnell eine gemeinsame „Frequenz“, auf der wir uns gut verstanden. Er erzählte aus seinem Leben, angefangen bei einer Pioniereinheit der DDR-Grenztruppen über seinen Werdegang vom Forstarbeiter bis zu seinem Engagement im Umwelt- und Naturschutz.
Seit einiger Zeit ist er Gebietsbetreuer eines 100 km langen Abschnittes des Grünen Bands – mit vielfältigen Aufgaben, u.a. Besuchern wie mir das Grüne Band und seine Idee näherzubringen. Für mich war das recht exklusiv, was mich sehr gefreut hatte. Nach einem ersten längeren Kennenlernen sind wir auf dem Kolonnenweg Richtung Süden zum Startplatz der Gleitschirmflieger – mit einem großartigen Ausblick vom Grenzeck runter auf das Örtchen Kella und das südliche Werra-Tal. Danach ging es langsam wieder zurück, wir wollten uns mit meiner Frau im Grenzmuseum Schifflersgrund treffen.
Auf dem Rückweg kamen wir an der berühmten Betonröhre beim Abzweig nach Volkerode vorbei – die angebliche Agentenschleuse, um die sich viele Gerüchte und Geschichten rankt. Stefan meinte, er würde das eher für Fiktion halten, denn es gäbe genügend Stellen, wo man aus der DDR „offiziell“ durch den Grenzzaun hätte kommen können: nämlich bei den gesicherten Durchgängen, bei denen die DDR-Grenzer auf das Vorfeld des Grenzverlaufs gelangen konnten. Der erste/letzte Grenzzaun stand ja einige Meter noch vor der eigentlichen Grenzlinie auf DDR-Gebiet. Dort gab es in regelmäßigem Abstand Durchschlupfe. Aber die Geschichte mit der Agentenröhre ist dennoch gut und würde zur „Deutschland ‘89“-Serie mit Jonas Nay passen.
Danach machten wir einen Abstecher zum höchsten Punkt auf der Gobert – das ist gleichzeitig auch die höchste Erhebung des Eichsfeldes. Das Bronzerelief mit den Orts- sowie Kilometer- und Höhenangaben ziert viele Wanderführer aus dieser Gegend. Ansonsten ist dieser Gipfelpunkt reichlich unspektakulär, da man keinen besonders weiten Blick hat – einfach ein ruhiges Plätzchen zum Verweilen.
Burgruine Altenstein – aus dem 12. Jahrhundert
Weiter ging es zur Burgruine Altenstein, die mir auf meiner Radtour 2019 verwehrt blieb. Ich hatte diese alte Burganlage aus dem 12. Jahrhundert auf meiner Liste stehen, konnte diese verf****e Ruine jedoch nicht finden – dafür aber den halsbrecherischen, direkten Abstieg nach Bad Sooden-Allendorf auf dem Kolonnenweg. Die Burganlage, wenn auch nur noch einige Mauerreste vorhanden, ist kleines Highlight. Mein Begleiter erzählte mir, dass er mit seinem Sohn, als dieser noch jung war, häufig dort im Sommer übernachtet hatte – mit Kerzen in den Fensterlaibungen und gruseligen Gespenstergeschichten vor dem Einschlafen. Obwohl der 30jährige Krieg einiges an Verwüstung beigetragen hatte, wurde das „Werk“ erst 1973 im Rahmen der sogenannten Grenzsicherung durch die NVA vollendet: die Reste der Burganlage wurden gesprengt; außerdem war das Gebiet, weil in unmittelbarer Nähe zur Grenze, für die Bevölkerung gesperrt.
Die letzten Kilometer vergingen sehr rasch, denn wir fuhren bis zum Grenzmuseum praktisch nur bergab. Meine Frau erwartete uns dort, sowohl für einen gemeinsamen Abschluss als auch für den bequemen Heimtransport ins Hotel.
Grenzmuseum Schifflersgrund wird neu konzipiert und umgebaut
Das Grenzmuseum hat seinen eigenen Charme. Zum Glück wird es in den kommenden Monaten umgebaut, die Ausstellung neu konzipiert und das Museum hat vor einiger Zeit einen neuen, jetzt hauptamtlichen Leiter, Christian Stöber, bekommen. Vielleicht geht das in die Richtung wie das Museum in Teistungen, wo es eine durchdachte und informative Ausstellung über den Kalten Krieg, die Grenze und die Zeit danach gibt. Jedenfalls soll das Sammelsurium an Ausstellungsgegenständen kräftig entrümpelt werden – mit dem Eröffnungstermin „Sommer 2022“ fest im Blick. Da kann man gespannt sein. Wir hatten auf dem alten Gelände noch einen plaudrigen Abschluss zu dritt.
Ich habe viel Neues erfahren, vom Nationalen Naturmonument Grünes Band, von den weiteren Entwicklungsplänen, vom Leben in der alten DDR, vom Gewissenskonflikt, mit dem junge Grenzsoldaten den „antifaschistischen Schutzwall“ notfalls mit der Waffe verteidigen sollten, also auf Republikflüchtige schießen mussten, von den wilden Orchideen und von Stefans Sohn, der nicht weit von meiner Zahnärztin zu seiner Studienzeit in Bonn gewohnt hatte. Für mich ein toller Tag, nicht nur in Erinnerung an 2019, sondern auch mit vielen neuen Eindrücken.
Aber damit nicht genug. Später am Tag haben wir das milde Sonnenlicht beim Übergang vom Nachmittag in den frühen Abend für weitere Fotoaufnahmen genutzt. Da es authentisch ausschauen sollte, kam das Rad mit den Packtaschen auf den Radträger und wir sind zum Wanderparkplatz in Hitzelrode gefahren. Von dort aus ist man in einer guten halben Stunde auf der Höhe beim Grünen Band angelangt (zu Fuß wohlgemerkt – das Rad neben sich herschiebend).
Lange Schatten am späten Nachmittag
Meine Frau konnte sich für diese friedlich-ruhige Atmosphäre am frühen Abend genauso begeistern und verstand meine Freude daran sehr gut. Diesmal übernahm sie die Aufgabe der Fotografin, das Stativ musste erst gar nicht aufgebaut werden. Beim Sonnenuntergang gelangen uns noch ein paar gute Bilder mit markanten langen Schatten. Dann war die Sonne über dem Höhenzug des Meißners versunken – nichts trübte diesen friedlichen Augenblick. Der Rückweg zum Auto war bergab schnell erledigt, das Rad musste verstaut werden und wir konnten einfach dem knurrenden Magen folgen.
Die Pizza beim indisch-italienischen Wirt am Kurpark in Bad Sooden schmeckte zum Abschluss leider nur mäßig – doch hier versöhnte uns die relaxte Stimmung auf der Außenterrasse mit dem Blick auf flanierende (und rauchende) Kurgäste. Geschafft und entspannt ging es zurück auf den Ahrenberg für einen letzten Absacker im Hotel.
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