Highlights:
- Festung Dömitz
- Dorfrepublik Rüterberg
- Und natürlich Langenlehsten
Schockschwerenot! Als ich meine Gardine zur Seite schob: dunkler Himmel, Regen, plätschernde Tropfenkreise auf dem kleinen Teich hinterm Gasthaus. Das war nicht geplant und nicht bestellt. Doch wozu habe ich eine Wetter-App. Siehe da: sie sagt, es regnet in Lenzerwische. Jetzt konnte ich mich wenigstens beruhigt wieder hinlegen, weil ich ja überhaupt nicht hätte rausschauen müssen. Die App hatte Recht! Doch viel besser waren die Aussichten, denn ab 11 Uhr sollte der Regen nachlassen.
Fürstliches Frühstück im Landhaus Elbeflair
Im Landhaus Elbeflair genossen wir ein liebevoll angerichtetes und sehr individuelles Frühstück, was keine Wünsche offen ließ. Wir wurden fürstlich bedient, denn im Gegensatz zu vielen anderen Hotels kam das Frühstück zu uns an den Tisch – wir mussten uns um nichts kümmern. Und konnten die Zeit mit Plaudern und Pläne schmieden verbringen. Neben uns saßen Geflüchtete, das ist schon ungewöhnlich genug, allerdings waren es Brexit-Flüchtlinge, die vor dem großen Knall Ende Oktober noch einmal ohne Visum und andere Beschränkungen nach Kontinental-Europa wollten. Malcolm und Louise kamen aus Sussex in Südengland. Sie waren ebenfalls mit dem Rad unterwegs und hatten – wie so viele andere – Prag als Ziel. Sollte man sich merken: Meide Prag im Spätsommer wegen der vielen Radtouristen 😉
Draußen regnete es immer noch…
Meine Begleiterin Barbara wunderte sich, dass ich überhaupt keine Regenklamotten dabei hatte. Naja, ich habe bei der Planung nie mit schlechtem Wetter gerechnet und bislang stimmte es auch. Immerhin hatte ich eine sehr leichte Regenjacke, die einem Monsunregen zwar nicht standhalten würde. Monsunartige Regenfälle kommen an der Elbe zum Glück auch nur selten vor. Für mich hieß es nach dem Frühstück erneutes Zusammenpacken und Verstauen meiner Habseligkeiten auf dem Fahrrad – und warten, dass der Regen nachlassen würde. Was das Packen betraf: langsam näherte sich meine Lust aufs Packen dem Ende entgegen – und zum Glück musste ich es inkl. dieses Vormittags nur noch dreimal machen.
Wir radelten noch im Regen los und die Wetter-App stimmte fast auf die Minute: Ab 11 Uhr hörte der Regen auf, auch wenn dichte, dunkle, dräuende Wolken nach wie vor über uns herzogen. In Dömitz, kaum 10 Kilometer von Gasthof entfernt, machten wir die erste Pause – in einem Rewe mit angeschlossenen Café: der zweite Kaffee musste her und unsere Tempo-Taschentücher waren ausgegangen.
Festungsstadt Dömitz
Dömitz liegt unmittelbar an der Elbe und ist wegen seiner fünfeckigen, gut erhaltenen Festungsanlage aus dem 16. Jahrhundert bekannt. Man kann heute die Festung mit Führung besichtigen sowie ein (Heimat)Museum und die Erinnerungsstätte des „bekannten Heimatdichter“ Fritz Reuter anschauen.
Dorfrepublik Rüterberg – zumindest für ein paar Tage
Nördlich von Dömitz liegt das kleine Örtchen Rüterberg, welches im Jahr 1989 für den zivilen Ungehorsam oder Courage seiner Bewohner Schlagzeilen machte. Rüterberg grenzt an zwei Seiten an das Bundesland Niedersachsen. Zu Zeiten der deutschen Teilung war es darüber hinaus 22 Jahre lang von Sperranlagen umgeben. Richtung Westen war Rüterberg durch ein zweites Zaunsystem entlang der Elbe getrennt. 1967 wurden die Zaunanlagen verstärkt, so dass das Dorf dadurch selbst vom Gebiet der DDR abgeschnitten war. Nur durch ein bewachtes Tor konnten die Bewohner ihr Dorf mit einem besonderen Passierschein betreten. Besucher konnten nur nach umständlicher Voranmeldung empfangen werden. Nachts ging gar nichts mehr, so wie in den anderen unmittelbar an der Grenze liegenden Gemeinden. Am 8. November 1989 riefen die Bewohner auf Initiative des Schneiders Hans Rasenberger die „Dorfrepublik Rüterberg“ aus, die sich an den Idealen der Schweizerischen Urkantone orientierte. Andere sagen: die Einwohner hatten nach so langer Zeit einfach die Schnauze voll und wollten ein Zeichen gegen die dauerhafte Bevormundung durch die staatlichen Organe setzen. Die Ironie der Geschichte war: einen Tag später, am 9.11.1989 fiel die Mauer, wurden die Grenzübergänge „ab sofort, unverzüglich“ geöffnet, weil Günter Schabowski – als SED-Sekretär für das Informationswesen, also Pressesprecher – den berühmten Zettel mit dem Entwurf des neuen Reisegesetzes der DDR missverstanden hatte (oder missverstehen wollte).
Heute gibt es von diesen Ereignissen nicht mehr viel zu erkunden. Ein alter DDR-Grenzturm wurde als privates Ferien- oder Wochenendhaus umgebaut. Von diesem hätte man einen tollen Blick über die Elb-Flussaue – für Naturbeobachter ein Traum. Der normale Reisende muss mit einem niedrigeren Beobachtungsturm vorlieb nehmen. In Richtung Norden gibt es eine kleine Gedenk- und Erinnerungsstätte, die über die Schikanen, die Grenzanlagen und die November-Aktion der Dorfbewohner informiert. Ade Dorfrepublik – wir wollen weiter zum unserem heutigen Etappenziel in Langenlehsten.
Die Landschaft – immer wieder flach…
Wahrscheinlich protestieren jetzt einige in und um Boizenburg. Aus meiner Sicht ist die Gegend sehr eben und deren Charme genauso. Wir haben unsere Kilometer gefressen, immer auf dem Elbe-Radweg, haben Boizenburg links liegengelassen, haben dem „Ersten Deutschen Fliesenmuseum“ die kalte Schulter gezeigt und sind rechtzeitig nach Norden abgebogen.
Langenlehsten – here we are
Dann erreichten wir bei überraschend gutem Wetter das Straßendörfchen Langenlehsten, welches in erster Linie durch meine langjährige Bekannte (wir erinnern uns: Web- und andere Lebensprobleme) ein Highlight darstellt. Wenn ihr auf eurer Tour noch Kartoffeln kaufen wollt, an der kilometerlangen Dorfstraße gibt es wenigstens vier (dumme ?) Bauern, die ihre „dicksten Kartoffeln“ anbieten, keine Bio-Ware, aber aus natürlichem Anbau, was immer das bedeutet.
Tina wohnt mit ihrem Mann seit vielen Jahren im Örtchen und ist ein Multitalent: Web-Designerin, Mama Crêpe höchstpersönlich, Zimmervermieterin, Hundefreundin und Mutter von drei erwachsenen Töchtern. Unf hinter Tinas Garten verläuft nach ca. 1 Km das Grüne Band – wir sind also ganz nah dran, auch heute Nacht.
Der Abend war überaus gemütlich und plaudrig – seit langer Zeit wieder eine Pizza (keine Crêpes, leider…). Was wir nicht wussten und in diesem Moment jedoch erfahren würden: Michael Gartenschläger wurde nicht weit von hier, beim Versuch Mitte der 70er Jahre eine der SM70- Selbstschussanlagen abzubauen, von einem Spezialkommando des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) beim einem Feuergefecht erschossen. Diese Stelle wollen wir uns am kommenden Tag anschauen und von da aus wieder auf den Kolonnenweg einbiegen.
Nach unserer langen Etappe lobte ich im Stillen den Menschen, der irgendwann die Betten erfunden hat. Nicht die Strohsäcke, nicht kratzige Wolldecken, sondern kuschelige Kopfkissen und Zudecken…
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