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14. Tag der Grünen Band Tour: Zugfahren und plattes Land

Highlights:

  • Weltkulturerbestadt Goslar
  • Freilandmuseum Hötensleben
  • paläon
  • Tagebau Schöningen

Endlich: der Brocken ist Geschichte. Ich habe ihn ohne Blessuren gemeistert, auch wenn mein Puls einige Male über die empfohlene Grenze von 121 bpm geklettert war. „Mache langsam, wenn du überhaupt ankommen willst“ (Konfuzius – abgewandelt).

Grünes Band Goslar Hotel Liono
Das Boutique Hotel Liono in Goslar

Weltkulturerbe Goslar

Ich habe heute in Goslar übernachtet, was ein wenig vom Grünen Band entfernt liegt. Eigentlich war Bad Harzburg mein Etappenziel, dann habe ich mich jedoch kurzfristig für Goslar entschieden, da es in den letzten Jahren zu einem sehr netten Städtchen geworden ist. Außerdem: Bereits aus frühester Jugend hatte ich gute Erinnerungen an Goslar. Meine Urgroßmutter wohnte hier, die ich in den Sommerferien häufig zusammen mit meiner Großmutter besuchte. Ich kann mich noch an Spaziergänge entlang den Eisenbahnschienen zu einem Spielplatz erinnern, sagen wir mal: ganz vage. Sie wohnte in der Nähe des Bahnhofs und das war in der Zeit von Dampfzügen natürlich eine große Nummer. Heute fahren keine Dampfzüge mehr, auch sind alle Bahnschranken gegen Unterführungen ausgetauscht.

Grünes Band Goslar Bahnlinie
Keine Eisenbahnschranken mehr in Goslar…
Grünes Band Goslar 1960
Goslar – früher: Der Autor mit Urgroßmutter und Bahnschranke

Zudem finden sich gleich zwei Weltkulturerbe-Stätten in Goslar: die alte Kaiserpfalz und das Bergwerk am Rammelsberg. Die Kaiserpfalz ist schon sehr alt (bereits im 11. Jahrhundert erbaut) und war in Deutschland der größte Profanbau des Mittelalters. Die Pfalz bot etlichen Kaisern einen prächtigen Tagungsort für die Reichstage, wenn sie die Regierungsgeschäfte auf Reisen durchs Reich ausübten. Kaiser und Könige kamen gerne nach Goslar, da es eine reiche und prächtige Stadt war. Leider ist das Gebäude nur noch in den Grundfesten der „echten“ Kaiserpfalz erhalten, denn Zerstörungen und Brände haben es mehrfach in Schutt und Asche gelegt. Erst im 19. Jahrhundert begannen Restaurierung und Wiederaufbau, allerdings in einem historisierenden Stile, dem Kaiser Wilhelm I. seinen Segen gegeben hatte: Pathos, Ruhm und Ehre sollten über die Jahrhunderte hinweg bis zur Neuzeit gerettet werden. Darum haben die heutige Gestalt der Kaiserpfalz und das ursprüngliche Gebäude des Mittelalters wenig Ähnlichkeit.

Das Bergwerk Rammelsberg verfügt ebenfalls über eine lange Geschichte. Bereits seit dem 9. Jahrhundert wurden dort Buntmetalle abgebaut. Allerdings gibt es Belege, wonach schon im 3. Jahrhundert einfache bergwerkliche Tätigkeiten begannen. Im 12. Jahrhundert ging das Bergwerksgeschäft in die Hände der Zisterzienser Mönche vom Kloster Walkenried, die es zu wirtschaftlichem Glanze führten. 1988 fuhren die Kumpel dann zur letzten Schicht. Anschließend wurde das Bergwerk als Besucherbergwerk „umgebaut“ und bekam 2006 den Status als UNESCO-Weltkulturerbe. Sowohl das Kloster Walkenried (siehe Tag 13) als auch Goslar profitierten in hohem Maße von den Erträgen des Bergbaus. Weil Goslar im Mittelalter zu einer überaus reichen Stadt aufgestiegen war, konnte sie sich beim Standort für eine Kaiserpfalz durchsetzen.

Dieses Mal interessierten mich weder das Eine noch das Andere. Ich war nach dem Brocken froh, im Hotel Liono untergekommen zu sein – es wirbt mit dem Slogan „Das einzige Boutique-Hotel von Goslar“. Diese Behauptung ist bei einer kleineren Stadt wie Goslar recht einfach, stimmt jedoch hundertprozentig. Es ist ein schönes, individuelles Hotel in einer alten Villen-Gegend – mit einem wundervollen, reichhaltigen Frühstück, yummie, lecker!

Grünes Band Goslar
Das Boutique Hotel Liono in Goslar

Ich vertrödelte den nächsten Morgen, da ich meine Tourplanung angepasst hatte: nachdem mir schon am Vorabend das Zugfahren so Spaß gemacht hatte, blätterte ich durch das kleine Fahrplanheft der Erixx-Eisenbahngesellschaft und fand heraus, dass ich ohne Umsteigen von Goslar nach Wolfenbüttel fahren konnte. Damit verkürzte sich diese Etappe um 25Km, was mir bei der Berg- und Talfahrt durch den Harz sehr gelegen kam. Später würde ich dann Richtung Osten zurück ans Grüne Band bei Hötensleben und schließlich über Helmstedt bis Oebisfelde in Sachsen-Anhalt radeln.

Grünes Band Goslar
Der Zug wartet abfahrtbereit auf Gleis 2: Bahnhof Goslar

Gedacht, gemacht und um Viertel vor elf Richtung Wolfenbüttel abgefahren. Ich liebe es, ohne Hast und möglichst ohne Verspätung durch die Gegend zu zuckeln. Dabei lasse ich die Landschaft an mir vorbeiziehen und kann meinen Gedanken nachhängen. Nach einer guten Stunde Fahrzeit war das Vergnügen leider bereits zu Ende und ich musste wieder in die Pedale treten.

Grünes band Niedersachsen Landwirtschaft
Wie das Land – so die Menschen? Niedersachsen – im Hintergrund der Brocken

Freilandmuseum Hötensleben – ein bedrückender Ort

Die Landschaft hatte sich im Vergleich zu den Tagen zuvor verwandelt: flache Hügel, endlose Felder und sehr viel Landwirtschaft sind für die bäuerlichen Gegenden in Niedersachsen kennzeichnend. Nicht aufregend, für’s Radfahren allerdings ganz bequem, vor allem nach den beiden letzten Etappen mit dem ausgeprägten Mittelgebirgscharakter. Ich wollte zurück aufs Grüne Band, an die Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. In Hötensleben gibt es ein großes Freilandmuseum mit „Mauer“. Dort sind ein langes Stück „echte Grenze“ mit Beobachtungsturm, der Mauer und den übrigen Grenzsicherungsanlagen erhalten. Dieses Grenz-Denkmal gehört seit 2011 zum „Europäischen Kulturerbe“.

Grünes Band Hötensleben
Freilandmuseum Hötensleben am Grünen Band I
Grünes Band Hötensleben
Freilandmuseum Hötensleben am Grünen Band II
Grünes Band Hötensleben
Freilandmuseum Hötensleben am Grünen Band III

Das Örtchen lag unmittelbar an der Mauer und damit fand das Leben dort auch nur unter erschwerten Bedingungen statt: besondere Ausweise, Ausgangssperre, Besuche nur mit umständlichen Genehmigungen und das Westfeeling direkt vor Augen (wobei letzteres in dieser Gegend nicht viel hermacht). Man kommt nach Hötensleben rein und dann zieht sich das Freilandmuseumsgelände den Hügel hoch. Durch die Sommerhitze in diesem Jahr ist alles verdorrt und unterstreicht den unwirtlichen und unwirklichen Charakter der ehemaligen Grenze. Eine Touristenführerin erklärte gerade in sengender Hitze einer Gruppe von Bundeswehr-Offizieren die Grenzsicherungsanlagen und den Grenzverlauf. Ich höre, wie die Offiziere eher professionelle Fragen nach Helligkeit der Scheinwerfer oder Stromstärke im E-Zaun stellen und ob denn hier alle Minen geräumt worden seien. Die Minenräumung ist tatsächlich ein interessantes (und auch lebenswichtiges) Thema, denn entlang der innerdeutschen Grenze lagen in den 60er, 70er und 80er Jahren verschiedenste Minentypen. Insgesamt waren ca. 1,3 Mio. Minen (und die berüchtigten Selbstschussanlagen) verlegt, die ab 1982 von der DDR entfernt wurden (wegen des Beitritts zu internationalen Vereinbarungen). Nach dem Mauerfall wurden die restlichen durch Spezialkräfte der Bundeswehr und der NVA umständlich beseitigt. In völlig unzugänglichen Ecken des Grenzverlaufs sind angeblich noch bis zu 30.000 Minen im Boden, die bislang zum Glück niemanden verletzt oder gar getötet haben.

Grünes Band Hötensleben
Freilandmuseum Hötensleben am Grünen Band IV
Hötensleben Grünes Band
Freilandmuseum Hötensleben am Grünen Band V (Letzter Garten vor der DDR-Grenze)

Ich hatte mittlerweile schon an verschiedenen Stellen des Grünen Bands solche „Freilandmuseen“ angeschaut. Hötensleben ist eines der weitläufigsten dieser Art. Da die Grenze bis an der Ort ging, hat es etwas besonders Bedrückendes. Im „Freiland“ gibt es kein Kassenhäuschen, kein Klo, keine Museumswärter oder leider auch kein Museumscafé, nur einige Tafeln erklären den ehemaligen Grenzverlauf und die umfangreichen Grenzsicherungsanlagen.

6 Speere fürs paläon

Es wurde Zeit für mich, aufzubrechen, da Oebisfelde noch etliche 40 Kilometer entfernt in nördlicher Richtung lag. Auf der Hinfahrt nach Hötensleben war ich an zwei interessanten Punkten vorbeigekommen, die ich mir noch anschauen wollte: das paläon und den aufgegebenen Tagebau Schöningen. Das paläon erschien aus der Ferne wie ein stylisches Forschungslabor für KI, in der Cyborgs hergestellt werden. Da es bei mir nicht klingelte, musste ich erst hinradeln, um den Zusammenhang klar zu bekommen. Es ist ein Museumsbau, in dem 300.000 Jahre alte Speere, die im nahegelegenen Tagebau Schöningen vor 25 Jahren gefunden worden waren, ausgestellt werden. Von außen erscheint das Teil einige Dimensionen zu groß, um diese sechs Speere der Öffentlichkeit zu präsentieren. Während der archäologischen Grabungen im Tagebau wurden allerdings noch weitere Fragmente von Jagdwaffen und über 10.000 Knochen von Wildpferden gefunden, die teilweise in der Ausstellung zu sehen sind. Man geht davon aus, dass hier ein großer Lagerplatz unserer Vorfahren, dem homo heidelbergensis, gewesen sein muss. Darum sind im Museum nicht nur die Waffen ausgestellt, sondern es geht – viel breiter angelegt – um das Leben in der Altsteinzeit. Darüber hinaus wird hier weiterhin wissenschaftlich gearbeitet, so dass sich die Größe des Baus nachvollziehbarer wird. Bislang hatten die Forscher vor allem Annahmen zum menschlichen Leben in der Altsteinzeit. Diese können jetzt durch die Funde untermauert werden. Super spannend, super interessant, weil es tolle Einblicke vermittelt, wie wir vermutlich vor einigen Tausenden von Jahren gelebt haben.

Durch seine etwas abseitige Lage halten sich die Besuchermassen noch in Grenzen. Darum hatte das Museum leider – im Moment – kein Museumscafé (ihr wisst, das ist mir immer wichtig).

Grünes Band paläon Schöningen
Das paläon bei Schöningen: ein Museum für sechs Speere

Energiewende in Schöningen: wird abgewickelt

Nebenan liegt gleich der 2016 aufgegebene Braunkohletagebau Schöningen, der das angrenzende Kraftwerk Buschhaus mit Braunkohle versorgt hatte (das ist in 1 ½ Jahren zwar vorbei, weil dann das Kraftwerk abgeschaltet wird). Am Rande des riesigen Tagebauloches gibt es einen Informationsstand und man in der Tiefe das geschäftige Treiben verfolgen: es handelt sich um Rückbau und Renaturierungsmaßnahmen, die laut Plan frühestens im Jahr 2022 abgeschlossen sein sollen. Hier wird auf über 500 Hektar eine Wildnis-Landschaft entstehen, die sich ohne Eingriffe des Menschen entwickeln soll.

Dort hatte ich Franky mit seinem Sharky getroffen. Sharky, ein weißer Kampfhund (ganz brav…), musste sich auf seiner täglichen Runde im Schatten der alten Kräne ausruhen. Franky dagegen ein, zwei Zigggis rauchen, bis es nach der Pause weiterging. Leider gibt es nur ein Bild von Sharky, da Franky zu scheu war (das glaube ich zwar nicht, da er über und über tätowiert war und auch seine Erzählungen keine Scheu zeigten…).

Grünes Band Schöningen Tagebau
Der ehemalige Tagebau bei Schöningen
Grünes Band Schöningen tagebau
Ein alter Bagger im Tagebau Schöningen
Grünes Band - Tagebau Schöningen
Sharky – das kleine, süße Hündchen von Franky

Anschließend kann ich über nichts Sehenswertes berichten: Landschaft, Landschaft, Landschaft, die A2 bei Helmstedt, noch mehr Landschaft und zum Glück Fahrradwege neben der Bundesstraße. Kenner der Gegend werden vielleicht einwenden: Wo bleibt die alte Grenzübergangsstelle Marienborn? Die habe ich nicht links liegen gelassen, sondern rechts, da östlich von meiner Route. Erstens kannte ich Marienborn als jahrzehntelanger Transitstrecken-Benutzer, das war schon gruselig genug. Vor einigen Jahren schaute ich mir das Museum auf einem Trip nach Berlin an und habe das heute einfach ausgespart.

Im „Land der Frühaufsteher“ angekommen

Ich war froh, am späten Nachmittag in Oebisfelde eingetrudelt zu sein. Auch dieses Städtchen liegt gleich hinter der Grenze an der Aller und wurde u.a. durch seine Sumpfburg berühmt. Im Mittelalter war das Gebiet ein Sumpf, darum war es sehr aufwändig, das Fundament ordentlich zu verankern. Heute beheimatet die Burg ein Heimatmuseum.

Grünes Band Oebisfelde
Die Sumpfburg in Oebisfelde
Grünes Band Oebisfelde
Um die Sumpfburg sehr proper und hübsch gepflegt
Grünes Band Oebisfelde
Eingang zum Heimatmuseum

Das Hotel in Oebisfelde findet sich ebenfalls in der Rubrik: Meine Empfehlungen. Das Hotel am Markt ist in den letzten Jahren grundlegend saniert worden und hat schöne, individuelle Zimmer. Morgens bietet es einen leckeren Frühstücksservice. Für Radfahrer auch wichtig: die Räder können geschützt im Hof abgestellt werden. In den Sommermonaten kann man außerdem sehr gemütlich im Innenhof bei einem kalten Getränk sitzen und abschalten. Da es sonst wenig Alternativen in der Gegend gibt, ist das Hotel am Markt für mich eine sehr gute Wahl gewesen. Nach dem Abendessen (außerhalb im Hotel Hildebrandt) bin ich rechtschaffen müde ins Bett gefallen und habe bis morgens um 8 Uhr durchgeschlafen (obwohl ich im „Land der Frühaufsteher“ bin – angeblich soll der Slogan demnächst in „Modern denken“ verändert werden).

Grünes Band Radtour Oebisfelde
Das Hotel am Markt in Oebisfelde
Oebisfelde Grünes Band
Ein müdes Fahrrad vorm Hotel am Markt

Veröffentlicht in Allgemein

2 Kommentare

  1. Eckhard Manderscheid Eckhard Manderscheid

    Manchmal googelt man etwas und wundert sich über die Ergebnisse. Ich wollte mich zum jährlichen Altstadtfest in Goslar informieren, jetzt sah ich Ihre Seite zum Grünen Band und Goslar. Das Loino Hotel kann ich ebenfalls empfehlen. Wir waren mit einem befreundeten Ehepaar letztes Jahr zur Stadt-Party dort und haben zwei gute Nächte verbrachte – sonst mache ich mir nicht soviel aus radfahren. Mit freundlichen Grüßen E. Manderscheid

    • Stefan Stefan

      Hoffentlich war das Altstadt-Fest auch dieses Jahr schön 🙂 Danke und viele Grüße

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